14 Haziran 2008 Cumartesi

Fragmente einer Sprache der Liebe


Welche Notwendigkeit besteht, über die Liebe zu schreiben? So fragt sich Roland Barthes zu Beginn des Buches. Die Rede des Liebenden würde, so Barthes, in extremer Einsamkeit geführt, aber von niemandem verteidigt: Er werde von allen Sprachen, die um ihn herum existieren, im Stich gelassen. Um diese einsame Sprache des Liebenden zu zeigen, um sie zu bejahen, hat Barthes dieses Buch geschrieben.
In neunundsiebzig Fragmenten beschreibt Barthes die verliebte Rede – Fragmente eines verliebten Redens, dies wäre hier die bessere Übersetzung des französischen Titels. Was sind dies für Fragmente? Barthes nennt sie Figuren, doch sind es keine Modelle, keine Idealtypen, sondern eher so etwas wie gymnastische oder choreografische Figuren, etwas, das jeder Liebende kennt, etwas, das er schon tausendmal getan hat. Es sind Figuren, denen Barthes solche Namen wie “Allein“, “Anbetungswürdig“, “Brief“, “Entwertung“, “Fest“, “Hautlos“ und so fort gibt. Er vermeidet die wissenschaftliche Sprache. Die einzelnen Fragmente umkreisen nicht das Wesen der Liebe, sondern das, was die Liebe macht, was sie produziert. Und so ist dieses Buch weniger eine Analyse der Liebe, als dass es den Anteil der Liebe an unserer Kultur abschätzt.
Sehen wir uns zwei Figuren genauer an:
Unter dem Stichwort “Abhängigkeit“ zeigt uns Barthes zwei Aspekte. Der erste kreist um all jene kleinen Tätigkeiten, die zeigen, dass wir - als Liebende - abhängig sind. Es sind allesamt belanglose Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Warten auf einen Telefonanruf, aber: “auf dem Feld der Liebe ist die Belanglosigkeit keine >Schwäche< oder >Lächerlichkeit<: sie ist ein starkes Zeichen: je belangloser, umso mehr bedeutet sie, bestätigt sich als Kraft“. Der zweite Aspekt zielt auf den “Wohnsitz“ des Geliebten, den Olymp, von dem aus die Entscheidungen in die Welt des Liebenden eindringen und denen der Liebende sich unterwirft.
Unter dem Stichwort “Lösungsideen“ zeigt uns Barthes die Fantasien, die sich einstellen, wenn die Liebe “sich in einer Krise“ befindet. Zunächst löst die Liebeskrise einen ganzen Schwarm von Ideen aus, wie man diese Krise meistern könne; diese Ideen verweisen auf eine andere Rolle, die der unglücklich Liebende haben könnte: Es sind die Fantasien eines Menschen, “der sich aus der Affaire“ ziehen möchte. Diese Lösungsideen haben immer etwas Theatralisches an sich; es sind pathetische, teilweise schwülstige Szenen: die reumütige Geliebte am eigenen Grab, die große Rede, die den Konkurrenten zu Boden schmettert, der witzige Einfall, der die Geliebte erst lachen, dann lieben macht. Dieser Pathos verleiht imaginäre Größe, ist eine fantastische Rückkehr auf die Bühne des Liebesdramas. Schließlich aber entlarvt Barthes diesen Pathos als eine Scheinlösung: Der Ausweg aus der Liebeskrise liegt immer noch in der Liebe selbst und ist deshalb keine echte Lösung. Die Liebe entkommt sich selbst nicht und erzeugt dadurch ein “double-bind“, jene schizophrene Bindung, die ihr “Opfer“ verrückt machen kann. Der Liebende unterliegt einem Wahn, solange er liebt.

Mit großer Eleganz schreibt Barthes von den vielen kleinen Alltäglichkeiten der Liebe. Es mutet seltsam an, wie Barthes dabei vorgeht: belesen und so welt- wie liebeserfahren, narzisstisch und distanziert, “irgendwie“ geordnet und doch auch in vieler Hinsicht ein wildes Durcheinander. Tatsächlich aber stecken in diesem poetischen Text wundervoll leuchtende und schmerzhafte Sätze. Es ist, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick, ein sehr weises Buch. Es ist alleine deshalb weise, weil es sein Objekt – die Liebe – nicht totanalysiert, sondern einfühlsam aus immer neuen Blickwinkeln betrachtet. Und es ist kein lautes Buch, keines, das mit Tipps und Tricks um sich schmeißt, keines, das die Höher-Besser-Weiter-Liebe propagiert, keines, das die Liebe totpragmatisiert; eher verführt es dazu, sich selbst – als Liebender – zu lieben, selbst klüger, feiner über das Lieben nachzudenken. Mit einem Wort: Es ist ein wundervolles, heilsames, nachdenkliches, zutiefst poetisches und intellektuelles und deshalb sehr schimärenhaftes Buch. Es hat mich lange begleitet. Ich habe es immer wieder empfohlen. Ich empfehle es auch jetzt.

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